Danke Opa, dass ich Hamburgerin bin
Zuhal, 30 Jahre, Barmbek
Manchmal, wenn ich abends durch die Straßen Hamburgs schlendere und die Lichter der Stadt bewundere, denke ich an meinen Großvater, Memet Kök. Seine Geschichte ist auch meine Geschichte. Ohne ihn würde ich heute nicht hier stehen. Diese Zeilen sind ein Dankeschön an ihn – für seine Kraft,
seinen Mut und sein großes Herz.
Memet Kök, geboren am 1. Oktober 1938 in dem türkischen Dorf Küçükyapalak, Elbistan.
Ein mutiger Anfang…
1973 betrat mein Großvater ein neues Kapitel seines Lebens. Er kam nach Deutschland, wie viele andere als Gastarbeiter, ließ seine Heimat, seine Familie und alles Vertraute zurück, um eine bessere Zukunft zu schaffen.
In Kaltenkirchen, einem kleinen Ort in Schleswig-Holstein, fand er Arbeit in einem Sägewerk. Zwischen den lauten Maschinen und dem Duft von frisch geschnittenem Holz arbeitete er sehr hart und oft über die Grenzen seiner Kraft hinaus. Doch mein Großvater war mehr als nur ein Arbeiter.
Er war ein Dichter, ein Denker und ein Träumer. In den stillen Momenten seiner Freizeit schrieb er türkische Gedichte und hielt seine Gedanken auf Papier fest.
Die Anfangsjahre in Deutschland waren sehr schwierige Zeiten. Allein in einem fremden Land, dessen Sprache und Kultur ihm fremd waren, kämpfte er sich durch. Er lebte in einem kleinen Zimmer in einer Unterkunft für Gastarbeiter. Aber mein Opa war nicht nur mutig, sondern auch zielstrebig. Er hatte einen festen Plan: Er wollte seine Familie nachholen und ihr ein besseres Leben ermöglichen.
Nach sieben langen Jahren voller harter Arbeit und Einsamkeit war es endlich so weit. Im Oktober 1980 kamen seine Tochter und sein jüngster Sohn — darunter mein Vater — nach Deutschland. Ein Jahr später, im Dezember 1981, folgten seine geliebte Ehefrau Hatice und sein ältester Sohn. Gemeinsam bauten sie sich ein Zuhause auf, und aus dem Gefühl des Fremdseins wurde eine Vertrautheit und Zugehörigkeit.
Opa, der Held meiner Kindheit
Als ich 1994 geboren wurde, hatte mein Großvater sich längst in seiner neuen Heimat eingelebt. Er war der Mittelpunkt unserer Familie – der Fels in der Brandung. Mit seiner Weisheit, seiner ruhigen Art und seinem liebevollen Wesen gab er uns Halt und Orientierung.
Opa war ein Mensch mit einer tiefen Empathie und einem Verständnis, das man selten findet. Er wusste, wie man Herzen erreichte, und seine Worte trugen oft eine Weisheit, die mich tief berührte. Einen seiner Ratschläge werde ich nie vergessen, oft nahm er mich beiseite, schaute mich mit einer ernsten Miene an und sagte:
„Zuhal, Aufpassen! Deutsche sagen immer: Hier rein, hier raus.“
Dabei zeigte er auf seine Ohren, aus einem strengen Blick wurde ein leichtes Schmunzeln.
Dieser Rat – nicht alles so sehr zu Herzen zunehmen – half mir besonders in schwierigen Zeiten, seine Unterstützung war grenzenlos. Als ich im Krankenhaus war, aufgrund meiner psychischen Erkrankung, besuchte er mich, hörte mir zu und gab mir das Gefühl, dass ich wertvoll bin.
Für mich war und ist er ein Held.
Ein Leben voller Leidenschaft
Nach seiner Pensionierung fand Opa eine neue Leidenschaft: die Arbeit im Garten. Es machte ihn glücklich, wenn er in der Erde wühlen konnte, Samen pflanzte und Gemüse zog. Seine Ernte bot er regelmäßig auf dem Wochenmarkt in Kaltenkirchen an, wo er nicht nur sein Gemüse verkaufte, sondern auch neue Freundschaften knüpfte. Er war ein sehr geselliger Mensch und genoss jede einzelne zwischenmenschliche Beziehung.
Eine dieser Freundschaften führte dazu, dass er den Garten einer Bekannten pflegte. Dieser Ort wurde für unsere Familie zu einem kleinen Erholungsort. Wir nutzten ihn für Grillabende, lachten zusammen und schufen unvergessliche Erinnerungen. Ich sehe mich noch als Kind durch die Beete laufen, die Hände voller frischer Gurken und Erbsen, während Opa uns, seinen neun Enkelkindern, Geschichten erzählte. Mit einem Glas Rotwein in der Hand sprach er von früher, von seiner Heimat und den Lektionen des Lebens.
Diese Erinnerungen gehören zu den schönsten meines Lebens.
Danke, Opa
Heute lebe ich in Hamburg, einer Stadt voller Leben und Möglichkeiten. Aber ich weiß, dass dieses Leben ohne meinen Großvater nicht möglich gewesen wäre. Er hat nicht nur eine Grundlage für unsere Familie geschaffen, sondern uns auch gezeigt, was es bedeutet, mutig, diszipliniert und gleichzeitig liebevoll zu sein.
Am 20. Februar 2021 bist du von uns gegangen, aber in unseren Erinnerungen lebst du weiter.
Ich trage deinen Geist und deine Werte in meinem Herzen.
Danke, Opa, dass du nie aufgegeben hast.
Danke, dass ich Hamburgerin bin.
In Liebe, deine Enkeltochter
Zuhal Kök