Die junge Frau und die gemeine Tür
Jessica, St. Pauli

Eine wahre Geschichte im Gewand eines Märchens. Über eine junge Frau mit geistiger Behinderung auf der Suche nach einer Arbeit – Ein Schreibprojekt des Campus Uhlenhorst.
Es war einmal in einem Land an einem mächtigen Fluss. Die Stadt war bekannt für eine Piratenburg. Dort lebte Astrid Bechersturtz, eine junge Frau in der Blüte ihres Lebens.
Astrid Bechersturtz war schon lange auf der Suche nach einer guten und festen Arbeit.
Was hatte sie schon alles ausprobiert! Beim Totengräber war sie, dem Steinmetz half sie, im Hospiz arbeitete sie. Doch all das führte zu nichts… Als Astrid Bechersturtz eines Tages durch die verregneten Gassen der kalten Stadt durch den Nebel lief, da kam eine gute Fee mit einem Engelherz geflogen und flüsterte Astrid Bechersturtz ins Ohr: „Laufe über das große heilige Feld, lausche den Gesängen von tausend Männern und Frauen, suche die Festung, an der ein Totenkopf prangt. Dort findest du dein Glück.“
Astrid Bechersturtz befolgte den Rat der Fee, folgte den Rufen der tausend Männer und Frauen, lief über das große heilige Feld und fand die Festung mit dem Totenkopf. Als sie die Festung betrat, wurde sie von der Fürstin von Eckstein herzlich begrüßt. Astrid sprach zur Fürstin: “Hast du eine Arbeit für mich?” Die Fürstin antwortete: „Ja, ich habe Arbeit für dich. Dafür musst du allerdings 3 Dinge für mich tun:
1.) Du musst alle Schätze in unserer Schatzkammer in die richtigen Regale räumen.
2.) Du musst dafür sorgen, dass niemand unsere Schätze stiehlt.
3.) Du musst die Schätze durch die gemeine Tür tragen.“
„Kein Problem“, sagte sich Astrid Bechersturtz und machte sich ans Werk. Sie räumte die Schätze in die Regale. Darunter waren Gewänder, Geschirr und Halstücher. Alle waren mit dem Symbol des Totenkopfs geschmückt. Jeden Tag erschien Astrid Bechersturtz pünktlich zur Arbeit, arbeitete fleißig den ganzen Tag und wurde immer besser und immer schneller.
Damit niemand Fremdes die Schätze stehlen konnte, belegte Astrid Bechersturz alle Schätze mit einem Zauber. Der Zauber bewirkte, dass die Schätze anfingen zu schreien, sobald Diebe sie aus der Schatzkammer stehlen wollen würden.
Die Fürstin war sehr zufrieden mit der Motivation, der Arbeitsleistung und der Zuverlässigkeit von Astrid Bechersturtz.
Nur noch die letzte Aufgabe lag vor ihr.
Mit den Händen voller Schätze näherte sie sich der gemeinen Tür. Nichts Böses ahnend, öffnete Astrid die Tür, und mit einem lauten Knall standen die tausend schreienden Männer und Frauen vor ihr. Vor so vielen Menschen hatte Astrid Angst und schnell machte sie die Tür wieder zu.
Als die Tür ins Schloss fiel, fing die Tür an, sie hämisch auszulachen. „Hihihi, das schaffst du nie. Hast eine viel zu große Sozialphobie!“
Astrid antwortete der Tür: „Ja, ich habe Angst vor fremden Menschen, aber trotz meiner Angst werde ich es weiter versuchen!”
Und mit all ihrem Mut näherte sie sich wieder der Tür und öffnete sie. Wieder war ein lauter Knall zu hören und die tausend Männer und Frauen standen vor Astrid Bechersturtz. Dieses Mal aber waren die tausend Männer und Frauen gar nicht mehr so laut. Astrid stand trotzdem wie versteinert vor der geöffneten Tür, und sie konnte noch nicht hindurchgehen. Die Tür fiel wieder ins Schloss und lachte: “Hihihi, das schaffst du nie! Hast zu wenig Selbstbewusstsein!”
Astrid antwortete: „Ja, ich habe kein großes Selbstbewusstsein, aber ich werde es weiter probieren und immer stärker werden!“
Astrid ging in sich, atmete tief durch und näherte sich abermals der Tür. Die Tür ging mit einem lauten Knall auf und Astrid sah die tausend Männer und Frauen, wie sie sich miteinander freundlich unterhielten. Sie ging einen Schritt auf die Menschenmasse zu, aber ihre Knie fingen an weich zu werden, und bevor sie über die Schwelle gehen konnte, schloss die Türe sich abermals vor ihrer Nase. Die Tür fing wieder an zu lachen: „Hihihi, das schaffst du nie. Durch mich wirst du nie durchkommen, du wirst aufgeben!“
Daraufhin schloss Astrid ihre Augen, sammelte all ihren Mut und dachte daran, dass die Fürstin von Eckstein ihr versprochen hatte, ihr eine Arbeit zu geben, wenn sie es schaffen sollte, durch diese Tür zu gehen. Astrid schöpfte Kraft aus dem Gedanken daran, wie sehr ihr die Arbeit in der Schatzkammer gefiel. Warum sollte diese Tür über ihr Leben bestimmen und sie von ihrem Wunsch zu arbeiten abhalten?!
Selbstbewusst und mit all ihrem Mut klemmte Astrid die Schätze unter ihren Arm, legte ihre Hand auf die Türklinke und drückte sie langsam herunter. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Quietschen, das sich entfernt anhörte wie ein „Hihihi…“, und von da an ward die Tür nicht mehr gehört. Mit festem Schritt ging Astrid Bechersturtz durch die Tür, als wäre es das Normalste der Welt.
In dem Raum hinter der Tür wartete die Fürstin von Eckstein zwischen den Männern und Frauen und lächelte sie stolz an. Die Fürstin sprach: „Du hast die 3 Aufgaben alle erfüllt und mit Bravour gemeistert. Jetzt gehörst du zur Piratenburg.“
Astrid Bechersturtz freute sich sehr. Und wenn sie nicht gestorben ist, dann arbeitet sie noch heute.