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Zu den Geschichten

Die zwei großen "Leuchtreklamen"

Milena, 33 Jahre

Frankfurt, Bremen, Hannover, Nürnberg … in den letzten 14 Jahren hab’ ich überall mal gewohnt und gearbeitet. Hamburg war für mich als gebürtige Hessin aber immer mein Traum. Die Urlaube waren jedes Mal so anders als der Alltag in Hessen, nicht nur, weil es eben Urlaub war. Warum? Ich versuch‘s mal so:

Was wir alle in diesem Land gemeinsam haben, ist die Direktheit. Ohne Umschmeichelung gibt‘s auf die Ömmel vom Gegenüber oder die ungeschönte Wahrheit. Der Unterschied aber ist der: Der Hesse z. B. beleidigt dich zuerst mit „Dappes“ (Trottel) oder „Schoffskopp“ (Schafskopf) und sagt dir erst dann, schnell hingenuschelt, was das Problem war. Der Hamburger aber klatscht dir deine Fehler mit einem Bouquet um die Ohren und vergisst dabei das Verschmitzte nicht. Die Mentalität in Hamburg und generell Norddeutschland unterscheidet sich deutlich von der der Süddeutschen (jetzt sei nicht überrascht!). Ich denke, wir sind uns einig, was hier die angenehmere Form ist, oder? Dass ich diese Art des Umgangs als problematisch empfand, wurde mir zwar bei jedem Besuch als korrekt bestätigt, aber bis ich sie als solche anerkannte, war ich längst im Studium in Bremen. Knappe 12 Jahre später also. Natürlich schaue ich nach 14 Jahren „hier oben“ hin und wieder sehnsüchtig in die Heimat. Wer tut das nicht? Orte, an denen jeder Stein „du“ zu dir sagt, wo jeder Winkel Vorfreude des Wieder-Entdeckens beinhaltet und Freunde wie Familie im derben, flapsigen Alltag existieren. Dann aber kommen auch die weniger schönen Dinge zurück, die so viel mehr Gewicht tragen als jede verklärte Erinnerung. Denn ein unbeschriebenes Blatt, ein Mädchen im süßen Sommerkleid – das bin ich nie gewesen:

In Hessen war es für mich als Mensch mit körperlicher Einschränkung und Neurodivergenz selten so leicht, mit Menschen und mir selbst umzugehen, wie hier. Hamburg lässt vieles einfach so sein, wie es ist, und das tut gut. Ihr dürft euch also alle mal auf die Schulter klopfen! Hier begegnen mir helfende Hände ohne Urteil, freundliche Gespräche ohne schlechtes Gefühl. Das mag auch verklärt klingen, denn „Schoffsköpp“ hat es überall. Aber der Hamburger versteht sich, mit irgendwie allen Kuriositäten so leicht umzugehen.

Weil das noch nicht reicht, bin ich von Haus aus außerdem Fledermaus (Grufti). In Hamburg erlebe ich unsere Subkultur so lebendig und vielfältig, wie es allenfalls noch in London selbst der Fall ist. Selbst Berlin und Leipzig schielen sehnsüchtig „hier hoch zu uns“. Das liebe ich sehr und wäre nicht möglich, wenn der Raum durch die Mitmenschen drumherum nicht geschaffen würde. Toleranz und Akzeptanz waren die zwei großen „Leuchtreklamen“, die Hamburg für mich immer ausgemacht haben, und egal, wie viele schöne Ecken auch Frankfurt, Marburg und generell Hessen haben: Daran kommt fast nichts heran. Weitere gute Beispiele sind die Anti-AfD-Demos Anfang ‘24/‘25 und die Tatsache, dass eben SPD, Grüne und Linke aktiv im Regierungssitz der Stadt vertreten sind. Man merkt es den Menschen hier an; der größte Teil ist bereit, sich miteinander, füreinander und auseinander (ein-)zusetzen, man begegnet sich auf Augenhöhe, gibt sich Mühe und ist rücksichtsvoll. Ich hoffe, ich kann so lange hierbleiben, wie ich möchte. Denn noch mal quer durchs Land zu ziehen, dafür bin ich fast schon zu alt und Hamburg ist ne hübsche Perle. 😉