Honig auf dem Gehweg
Verena, 47 Jahre, Wilhelmsburg

Hamburg ist der Ort, an dem ich geboren bin, und der Ort, zu dem ich immer wieder zurückgekehrt bin. Es ist auch der Ort, an dem sich meine Eltern trafen. Der Ort, ohne den ich nicht wäre. Meine Großeltern väterlicherseits stammen aus Breslau, sie trafen sich nach dem Krieg und der Flucht in Hamburg wieder. Meine Mutter stammt aus dem Emsland, ihre Mutter war aus Magdeburg dorthin geflohen. Nun kehrte die Tochter für die Ausbildung an die Elbe zurück. Katholiken gibt es nicht viele in Hamburg, und wenn man sie fragt, sind sie allesamt zugewandert, auf die eine oder andere Art. Aufgewachsen bin ich in Bergedorf. Gehört das wirklich zu Hamburg? “Ich fahre in die Stadt”, heißt, zum Sachsentor oder zum CCB zu fahren. Fährst du an die Alster, zur Mönckebergstraße oder noch weiter, dann fährst du “in die Innenstadt”. Doch die Vorstädter bestehen darauf, sie sind Hamburger. Nach der Schule, erstmal weg. Paris, dann ein soziales Jahr, dann die Ausbildung in Oldenburg. Reisen. Segeln. Und danach? Zurück nach Hamburg. Heimat ist der Ort, an den man immer wieder zurückkommt. Egal, wie schön es woanders auch ist. Einen Ort wie Hamburg habe ich auf meinen Reisen nicht gefunden. 10 Jahre später habe ich noch einmal die Koffer gepackt. USA. Der großen Liebe hinterher. Schöne, große Städte gibt es dort. Philly ist mir sympathisch. Warum? Es hat Ähnlichkeiten mit Hamburg. Viel Platz gibt es dort, Natur, Wildnis, Weite. Meer und Flüsse, viel Platz zum Segeln. Kein Platz für mich. Das Heimweh folgte mir überall hin. Als der Geliebte nach einem Jahr weiterzieht, nach Italien, ist die Entscheidung klar: Lieber eine Fernbeziehung als ein Leben ohne Hamburg. Also zurück in die Heimat. Diesmal ins “richtige” Hamburg, nicht in die Vorstadt. Eine neue Welt, und doch die gleiche Stadt. Nur besser. Ein kleines Boot kaufen, segeln. Mit dem Rad überallhinkommen. Genießen, zu Hause zu sein. Meine Freunde, verteilt in Deutschland und der Welt, haben ebenfalls hier ihren Ankerpunkt. Einige sind, wie ich, irgendwann zurückgekehrt. Die anderen kommen zu Besuch. Selbst wenn man Hamburg verlässt, die Stadt verlässt einen nicht. Nirgendwo hat der Himmel ein schöneres Grau, nirgendwo nieselt es so fröhlich, nirgendwo sonst blühen so viele Linden, dass man auf ihrem Honig auf dem Gehweg ausrutscht. Nirgendwo sonst gibt es Plätze, an denen “Sturmflut” automatisch “Parkverbot” bedeutet. Nirgendwo sonst gibt es mehr Brücken. Nirgendwo sonst wird ratlos aussehenden Touristen einfach so Hilfe angeboten. Nirgendwo sonst ist das Understatement eine Lebensphilosophie. “Büschn Wind”, “dafür nich”, “läuft”. Was ich vor allem vermisst habe, wo immer ich war, das waren nicht nur die Stadt, die Elbe und die Alster, das waren vor allem die Hamburger. Nirgendwo sonst können die Menschen mit zwei Worten dem Gegenüber ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Ich reise gerne. Ich habe wunderschöne Orte gesehen. Ich hätte die Möglichkeit, dorthin zu ziehen, wo andere Urlaub machen. An einen Ort mit Palmen und türkisfarbenem Meer. Doch ich weiß, ich würde mich ja doch nur zurückwünschen nach Hamburg.