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Was ist Frieden für mich?

Alona, 44 Jahre, Bergedorf

Was bedeutet Frieden für mich? Frieden bedeutet für viele Menschen nur die Abwesenheit von Krieg. Doch für mich ist es viel mehr. Es ist etwas zutiefst Persönliches.

Ich komme aus Mariupol – einer Stadt, die einst voller Leben war und jetzt unter Besatzung, Zerstörung und Angst steht. Ich musste mein Zuhause verlassen. Die Entscheidung zu fliehen war nicht leicht. Auf dem Weg zur Freiheit erlebte ich viele Kontrollen von Soldaten mit ihren raubtierhaften und ungestraften Blicken. Ich hatte kein Kraft mehr, mich zu fürchten. Aber dann kam dieser Moment, den ich nie vergessen werde: Als ich zum ersten Mal wieder die ukrainische Flagge sah. Sie wehte ruhig im Wind – klar, frei, stark. In diesem Moment fühlte ich etwas, das ich lange nicht mehr gespürt hatte: Freiheit. Hoffnung. Würde. Es war, als könnte ich endlich wieder atmen. Jetzt lebe ich in Hamburg – in einer Stadt, die mir Sicherheit, innere Ruhe und die Möglichkeit gegeben hat, ich selbst zu sein. Hier habe ich einen Raum gefunden, in dem ich mich nicht als Opfer, nicht als Flüchtende, sondern einfach lebendig fühlen kann.

Doch mit all dem kam auch die Erkenntnis: Frieden ist ein Weg, eine Verantwortung. Er entsteht durch unser Dasein, durch Erinnerung, durch das Recht zu sprechen und Mensch zu sein. Mein Weg führt mich heute hierhin, in ein anderes Land und ich lerne hier zu leben, aber meine Wurzeln, meine Stimme und meine Erinnerung trage ich dabei immer mit mir. Frieden ist eine zerbrechliche, tägliche Bewegung – und noch vieles liegt vor uns. Auch fern von zu Hause spüre ich, dass ich Teil von etwas Größerem sein kann: indem ich mit meiner Stimme und meiner Geschichte den Wert des Friedens vermittle. Hier, im Alltag. Hier – in Hamburg.

Meine Mutter ist geblieben. Sie lebt bis heute in der besetzten Stadt. Mit Wasser alle drei Tage, oft ohne Strom und Verbindung. Ohne Meinungsfreiheit, ohne Bürgerrechte, ohne Sicherheit. Jeden Tag lebt sie mit der Angst, dass ein falsches Wort schlimme Folgen haben könnte. Wenn Begriffe verzerrt werden, wenn Schwarz zu Weiß wird, wenn Gewalt als „Befreiung“ verkauft wird, dann verliert die Welt ihre Orientierung. Dann wird Frieden zur Illusion.

Frieden ist nicht nur das Schweigen der Waffen. Frieden ist, wenn Menschen die Wahrheit sagen dürfen, ohne verfolgt zu werden. Wenn niemand gezwungen ist zu schweigen oder zu fliehen. Wenn Räume für ehrliche Gespräche offenbleiben – auch über das, was unbequem ist. Wenn wir im Menschen zuerst den Menschen sehen – ohne ihn nach Herkunft, Sprache oder Nationalität zu beurteilen. Frieden beginnt nicht in den Büros der Politiker und auf Papier, sondern in uns – mit der Fähigkeit, Mitgefühl zu zeigen, zuzuhören und einander nicht gleich zu verurteilen.

Ich weiß jetzt, was Frieden ist. Und ich wünsche ihn jedem Menschen – nicht als leeres Wort, sondern als gelebte Wirklichkeit.