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Zu den Geschichten

Wenn Hamburg eine Perle sein soll, habe ich sie wohl verschluckt

Anonym, 42

Ein Hinweis vorab: Die folgende Geschichte thematisiert schwierige Inhalte wie z.B. Gewalt und Alkoholmissbrauch, die belastend sein können. Bitte sei achtsam beim Lesen und nimm dir bei Bedarf eine Pause.

Ich bin eine 42-jährige Frau und lebe seit Februar 2016 in Hamburg, in einer Zweck-WG. Eine eigene Wohnung kann ich mir in dieser teuren und sozial eiskalten Stadt nämlich nicht leisten. In Hamburg sind Wohnungen knapp – hier leben im Verhältnis zur Einwohnerzahl bundesweit die meisten Obdachlosen. Seit über einem Jahr habe ich einen Dringlichkeitsschein und finde dennoch keine bezahlbare Wohnung. Ich lebe mit einer Alkoholikerin und ihrem Freund zusammen. Wenn die beiden betrunken sind, endet das regelmäßig in Gewalt. Und ich bin als Mitbewohnerin mittendrin. Aber für die Behörden und Beratungsangebote bin ich nicht betroffen, ich bin „nur Zeugin“. Hilfe bekomme ich keine. Ich habe ein Dach über dem Kopf, aber zu welchem Preis? Ich lebe von Grundsicherung, vorher von Bürgergeld. Ich bin aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft voll erwerbsunfähig. Schulden habe ich auch. Und ich war noch nie so einsam in meinem Leben wie hier in Hamburg. Von gesellschaftlicher Teilhabe bin ich ausgeschlossen. Zur biologischen Familie hab ich den Kontakt abgebrochen. Meine biologische Familie lebt auch nicht in Hamburg. Freunde habe ich keine. Selbst wenn ich irgendwen kennenlernen würde, fehlt mir das Geld für Unternehmungen. Selbst für ein alkoholfreies Getränk im Café ist kein Geld übrig. Nein, Alkohol trinke ich nicht und ich rauche nicht. Ich leide u.a. an Depressionen, die sich durch die Einsamkeit verstärken. Und ich müsste abnehmen, aber ein Beitrag für einen Sportverein oder gar einen Schwimmbadbesuch ist nicht drin, geschweige der Mitgliedsbeitrag für ein Gym. Ermäßigungen gibt es für mich keine. Die kommenden Wahlen machen mir große Angst, dass ich obdachlos werde. Dass mir auch noch der letzte Rest genommen wird, das, was ich zum Überleben brauche. Was hält mich in Hamburg? Nichts bis auf mein rechtlicher Betreuer. Er ist meine einzige Unterstützung. Sagen wir es so, er gibt sich zumindest Mühe, beißt aber auch überall auf Granit. Ich bräuchte Hilfe, auch im Haushalt. Keine Chance. Die Dame von der Schuldnerberatung meinte, dass ich lernen muss, mit den Schulden zu leben, solange sich meine finanzielle Situation nicht ändert. Aber mit Schulden und Grundsicherung ist es unmöglich, eine Wohnung zu finden. Also muss ich die Gewalt hier in der Zweck-WG weiter aushalten. Den Vermieter interessiert das nicht und die Polizei tut zu wenig bzw. auch ganz oft gar nichts. Meine Situation ist ausweglos. Wäre ich doch bloß nie nach Hamburg gezogen! Wenn Hamburg eine Perle sein soll, habe ich sie wohl verschluckt und ersticke langsam daran.